Unkraut jäten auf Somali. Zwei Geflüchtete warten auf ihre Aufenthaltserlaubnis – Miriam Bott

Wörth_am_MainEin wolkiger Freitagvormittag in Wörth am Main, Unterfranken: Bedächtige Stille liegt über dem Friedhof am Rande der Stadt am Main mit ihren rund 4500 Einwohnern. Nur gelegentlich ist das Quietschen des schmiedeeisernen Eingangstores zu hören. Doch dann wehen plötzlich raue, fremde Sprachfetzen herüber. Arabisch vielleicht. Auf einem christlichen Friedhof? In Wörth ist das nichts Ungewöhnliches.

Zwei Männer in Jeans und karierten Hemden stehen dort auf einem der Kieswege zwischen den Gräbern und unterhalten sich. In ihren Händen halten sie Rechen und Hacken, neben ihnen steht eine Schubkarre. Es sind Hussein Nur und Najib Mohamed aus Somalia. Sie sind Flüchtlinge, zwei von weit über siebzig, die in der Stadt auf eine Aufenthaltserlaubnis warten – oder ihre Abschiebung.

Hussein und Najib sind Anfang zwanzig. Sie kommen mehrmals pro Woche her und jäten das Unkraut. Die Idee, ihnen eine Aufgabe zu geben, kam von Karin Schirmeister. Sie ist Standes- und Ordnungsbeamte der Stadtverwaltung und steht damit nicht nur in ständigem Kontakt mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sondern ist auch Ansprechpartnerin für alle Flüchtlinge. Die meisten kennt sie ganz gut. „Wir wissen, dass diese Arbeit mehr Bezahlung wert ist, aber sie finden es besser, als nichts zu machen. Dadurch haben sie auch Kontakt mit den Bürgern“, sagt sie. Hussein und Najib machen das freiwillig, für einen Euro in der Stunde. „Ich arbeite gerne etwas. Nur macht es mich traurig, auf einem Friedhof zu arbeiten. Hier sind so viele tote Menschen“, sagt Najib. Wie ist das eigentlich, als Moslem auf einem christlichen Friedhof zu arbeiten? „Das macht mir nichts aus“, erklärt Hussein. Die beiden wundern sich nur ein wenig über die Traditionen: Zuhause in Somalia werden die Toten ohne Sarg begraben, nur in weiße Tücher gewickelt. Und schwarz ist im Islam keine Trauerfarbe.

Hussein erklärt das auf Deutsch. Manchmal sprudeln die Sätze nur so aus ihm heraus. Dann stockt er wieder, weiß die Vokabeln nicht, wechselt ins Englische oder berät sich mit seinem Cousin Najib – das schafft Sicherheit. Die beiden geben sich Mühe. Zweimal die Woche gehen sie zu einem Sprachkurs extra für die Flüchtlinge, den die Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft eingerichtet haben. Dort lernen sie, einen Weg zu beschreiben oder welche Wörter sie beim Arzt brauchen. Hussein ist besonders fleißig, er saugt förmlich alles auf, was er hört. Er deutet auf die Werkzeuge und fragt: „Wie nennt man das auf Deutsch? Auf Englisch heißt es ‚tool‘.“ Najib interessiert das auch, er hat aber manchmal Probleme die Einheimischen zu verstehen: „Ihr redet immer so schnell.“

Noch schwieriger muss es für Najib sein, über seine gefährliche Flucht nach Deutschland zu sprechen. Er hat eine Reise von Somalia aus über Äthiopien, den Sudan, Libyen und von dort aus über das Mittelmeer hinter sich. Er war in einem Schlauchboot mit 80 Plätzen – zusammen mit 119 anderen. Eng auf eng saßen sie dort, drei Tage lang, ohne zu wissen, ob sie das überleben würden, eine Horrorvorstellung. Sie hatten Glück, das Boot wurde von einem Schiff aufgegriffen, Najib wurde nach Sizilien gebracht und kam schließlich nach Deutschland.

„Ich habe meine Frau und meinen kleinen Sohn zurückgelassen, weil es für sie zu gefährlich wäre. Sie sind in Äthiopien. Ich kann sie manchmal anrufen“, erzählt Najib. Er lächelt dabei. Aus seinen Augen spricht die Hoffnung, dass er bald eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt und sie nach Deutschland holen kann. Hussein geht es genauso, auch er hofft seine Familie bald wiederzusehen. Denn er hat große Pläne: Er möchte Lehrer werden und vielleicht irgendwann nach Somalia zurückkehren. Aber nicht solange dort Korruption und Krieg herrschen. Najib ist da etwas zurückhaltender: „Ich plane erst, wenn ich weiß, dass ich bleiben kann. Wir sind geduldig.“ Wie viele Monate sie noch geduldig sein müssen, wissen sie nicht. Bis dahin verbringen sie ihre Zeit in Wörth. Auf dem Friedhof, wo die Leute sie grüßen, in ihrer Unterkunft, wo sie mit den anderen Flüchtlingen kochen, in der Moschee beim Freitagsgebet oder bei Ausflügen in die Umgebung mit Einwohnern, die eigens eine Integrationsrunde gegründet haben. Sie wollen, dass sich die Flüchtlinge hier wohlfühlen, egal ob sie am Ende bleiben dürfen oder nicht.